Zwischen Verlängerung, Abschied und Neubeginn
Eigentlich sollte ich in diesem Moment längst wieder in Deutschland sein – zurück zu Hause, um meine Familie, Freund*innen und all die Menschen wiederzutreffen, die ich im letzten Jahr so sehr vermisst habe. Doch mein Leben hat sich anders entwickelt: Ich bin weiterhin in Ecuador. Zwar nicht mehr in Ibarra, sondern in Quito, wo ich nun zusammen mit Lena in einer Gastfamilie lebe.
Die Entscheidung zu verlängern habe ich mir gut überlegt. Ursprünglich war geplant, dass mein Freiwilligendienst nach einem Jahr endet. Doch schon nach einigen Monaten habe ich gemerkt, dass mir diese Zeit nicht reicht – weder für die Sprache noch für die vielen Erfahrungen, die man hier machen kann. Spanisch ist eine wunderschöne, aber auch herausfordernde Sprache. Ein Jahr war mir einfach zu kurz, um es zu Lernen. Das war einer der Hauptgründe, weshalb ich in eine Gastfamilie wollte: Dort komme ich im Alltag automatisch mehr mit der Sprache in Kontakt, und gleichzeitig bekomme ich noch intensiver etwas von der Kultur mit. Beides hat sich schon jetzt bewahrheitet.
Ein weiterer wichtiger Punkt war das Projekt. Bereits vor meiner Ausreise hatte ich lange überlegt, ob ich mich für die Fundación Cristo de la Calle in Ibarra oder für CAMP HOPE in Quito entscheiden soll. Damals fiel meine Wahl auf Ibarra – vor allem, weil mich die Stadt sehr gereizt hat. Trotzdem hat mich das Projekt CAMP HOPE immer im Hinterkopf beschäftigt. Mit der Verlängerung hatte ich die Möglichkeit, beides zu erleben: Erst Ibarra und jetzt Quito. Ich bin sehr froh darüber, dass sich dieser Weg ergeben hat.
Seit knapp zwei Wochen lebe ich also in Quito, und seit etwa anderthalb Wochen arbeite ich in meinem neuen Projekt.
Abschied und ein besonderer Urlaub
Die letzten Wochen in Ibarra waren geprägt von Abschieden. Schon davor hatte ich mit meinen Mitbewohnerinnen einen großen Abschlussurlaub auf den Galápagos-Inseln geplant – ein Traum, der für uns alle in Erfüllung ging.
Galápagos ist wirklich ein einzigartiger Ort: Die Farben des Meeres, die Unberührtheit der Natur, die Vielfalt der Tiere – alles wirkt dort fast unwirklich. Wir haben drei verschiedene Inseln besucht und jeweils überlegt, was wir auf eigene Faust machen können und wofür wir eine Tour buchen müssen. Die größte Tour war die sogenannte 360-Grad-Tour um Santa Cruz. Wir sind den ganzen Tag mit dem Boot unterwegs gewesen, haben an verschiedenen Stellen angehalten und konnten beim Schnorcheln unzählige Tiere beobachten. Besonders beeindruckt haben mich die Seelöwen, die so verspielt und neugierig waren, dass man sie sofort ins Herz schließen musste.
Natürlich sind die Galápagos-Inseln teuer, vor allem im Vergleich zum Festland. Aber es lohnt sich. Wir haben clever geplant und viel gespart, indem wir Airbnbs gebucht und selbst gekocht haben, statt ständig essen zu gehen. Dadurch hatten wir genug Geld für die Touren und konnten die Zeit trotzdem in vollen Zügen genießen.
Dieser Urlaub war nicht nur eine Reise zu einem der schönsten Orte der Welt, sondern auch ein ganz besonderer Abschlussmoment mit meinen Mitbewohnerinnen. Sie waren für mich in diesem Jahr nicht einfach nur Mitbewohnerinnen, sondern Freundinnen fürs Leben. Wir haben alles miteinander geteilt: den Alltag, das Kochen, das Lachen, die Spieleabende mit Cabo. Umso schwerer fiel mir der Abschied von Marlene und Johanna.
Auch der Abschied in meinem Projekt in Ibarra war sehr emotional. Die Kinder und Jugendlichen sind mir dort unheimlich ans Herz gewachsen. Zwar werde ich sie bestimmt noch einmal besuchen können, doch zu wissen, dass ich nicht mehr jeden Tag bei ihnen bin und ihr Leben nun nur noch aus der Ferne mitbekomme, war nicht leicht. Die letzte Arbeitswoche war deshalb voller gemischter Gefühle – dankbar für die Erfahrungen, traurig über den Abschied. Zudem vermisse ich sie auch jetzt schon.
Neustart in Quito
Und plötzlich war alles neu: eine neue Stadt, eine neue Familie, ein neues Projekt.
Das Leben in der Gastfamilie fühlt sich einerseits vertraut an, weil ich schon seit Monaten in Ecuador lebe, andererseits aber auch fremd, weil sich mein Alltag dadurch grundlegend verändert hat. Wir wurden von unserer Gastfamilie sehr herzlich aufgenommen, was den Einstieg enorm erleichtert hat. Lena und ich haben uns schnell eingelebt, und vieles läuft hier sehr unkompliziert.
Ungewohnt ist es allerdings, nach einem Jahr in einer WG, in der wir uns komplett selbst versorgt haben, plötzlich wieder bekocht zu werden und im Haushalt kaum eine Rolle zu spielen. Ein Unterschied ist auch das Essen: In unserer WG haben wir vegetarisch gekocht, doch hier in der Familie gehört Fleisch regelmäßig dazu. Das war am Anfang gewöhnungsbedürftig, aber es ist auch spannend, diese Unterschiede mitzuerleben.
Mein neues Projekt
In der Fundación CAMP HOPE habe ich mich in der „Sala Gozo“ schon gut eingearbeitet. Die Atmosphäre ist sehr herzlich, und besonders die Leitung der Sala unterstützt einen sehr. Die Arbeit ist körperlich deutlich anspruchsvoller, als ich es aus Ibarra gewohnt war – vor allem, wenn es darum geht, Personen umzulagern oder zu positionieren. Dennoch macht es mir Freude, weil ich merke, dass es gut funktioniert und ich schnell Fortschritte mache.
Etwas schade finde ich, dass ich die Sala bald wechseln werde. Einerseits freue ich mich darauf, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten und neue Aufgaben kennenzulernen. Andererseits bedeutet es, dass ich mich gerade erst richtig eingelebt habe und bald wieder von vorne anfangen muss. Bis dahin versuche ich aber, jeden Tag bewusst zu genießen und so viel wie möglich mitzunehmen.
Im „Casa Hogar“ habe ich mich noch nicht ganz so eingefunden, da ich dort nur drei Stunden am Tag verbringe. Dafür sind die fünf Stunden in der Fundación deutlich intensiver. Im Casa Hogar gibt es mehr Kinder, und entsprechend mehr zu beachten als in der sala wo nur 8 Leute sind. Aber auch hier wird es von Tag zu Tag leichter, und ich merke schon, wie ich Stück für Stück mehr Teil des Teams werde.
Besonders großen Respekt habe ich vor meinen Kolleg*innen dort. Sie leisten unglaublich viel, arbeiten in 48-Stunden-Schichten und haben dann 48 Stunden frei. Das ergibt im Schnitt etwa 85 Arbeitsstunden pro Woche – ein Pensum, das mich sehr beeindruckt. Ihre Energie und Geduld im Umgang mit den Kindern sind bewundernswert.
Erste Eindrücke von Quito
Quito ist eine ganz andere Welt als Ibarra. Die Stadt ist viel größer als Ibarra. Vor allem das Bussystem hat mich anfangs überfordert. Während man in Ibarra vieles zu Fuß erledigen konnte, braucht man hier fast immer die öffentlichen Verkehrsmittel – und die muss man erst einmal verstehen. Ich weiß aber, dass es einfach Zeit braucht, um sich einzuleben. Auch in Ibarra war am Anfang vieles kompliziert für mich, und nach paar Monaten ist es viel einfacher geworden.
Auch wenn der Abschied schwer war und vieles neu und ungewohnt ist, bin ich unglaublich froh, verlängert zu haben. Die Arbeit macht mir großen Spaß, meine Gastfamilie ist sehr herzlich, und ich weiß, dass ich in den kommenden Monaten noch viele neue Erfahrungen sammeln werde. Dieses zweite Kapitel meines Aufenthaltes ist eine wunderbare Gelegenheit, noch tiefer in Sprache, Kultur und Alltag hier einzutauchen.