Mein letzter Bericht aus Ecuador
Heute sind es noch 17 Tage, bis ich wieder nach Hause komme. Rückblickend verging das Jahr schnell, obwohl sich gerade zu Beginn Wochen wie Monate angefühlt haben. Die Zeit hier war nicht immer leicht und wenn ich zurück an den Beginn denke, weiß ich heute, wie stolz ich sein kann das Alles so gemeistert zu haben. Das Jahr hatte Höhen und Tiefen, an denen ich gewachsen bin. Viele Momente, in denen ich gezweifelt habe, daheim vermisst habe, Augenblicke, die nicht leicht waren. Und das auf der anderen Seite der Welt, so weit weg von Familie und Freunden, allem Vertrauten.
Mindestens genauso viele Momente habe ich erlebt, die reine Freunde und Lächeln in mir ausgelöst haben. Momente, die unvergesslich bleiben und die ich mein Leben lang in mir trage.
Je näher nun der Abschied rückt, desto mehr versuche ich jeden Moment mit den Kindern zu genießen. Ich werde sie vermissen. So schwer es mir auch fällt zu gehen, weiß ich das eine tolle Zeit wir hatten. Während die Kinder mir anfangs noch fremd waren, sind sie mir jetzt so vertraut. Ihre Entwicklung innerhalb dieses Jahres zu sehen, ist besonders.
C., mit seinen drei Jahren der Jüngste in meinem Projekt, hat letztes Jahr kein Wort gesprochen. Heute erweitert er jeden Tag seinen Wortschatz. Mittlerweile kann man mit ihm Gespräche führen und er versucht alles nachzusprechen. Er grüßt und gibt Bescheid, wenn er auf Toilette muss, fragt schon im Bus von der Schule auf dem Weg nach Hause, ob wir am Nachmittag rausgehen… Wenn wir uns am Morgen zum ersten Mal am Tag sehen und er „Rosita“ ruft und mir freudig entgegengerannt kommt, dann weiß ich warum ich gerade hier bin und an keinem anderen Ort. Ich weiß noch, wie stolz wir alle waren, als er das erste Mal keine Windel mehr gebraucht hat. Er bekommt nun auch regelmäßig Besuch von seinen Eltern, mit der Aussicht, dass er bald zu ihnen ziehen kann. Das freut mich so sehr für ihn, auch wenn ich weiß wie sehr sich die Kinder im Waisenhaus untereinander lieben und eine Familie sind. Das mit Abstand aller Süßeste ist, wenn wir C. für eine Schwimmrunde fertig machen. Wie er seine Arme und Beine im Wasser bewegt und uns bei einem kurzen Abtauchen verwundert anschaut.
Nicht nur C., sondern auch die anderen Kids haben sich in diesem Jahr weiterentwickelt. Bei A., der dieses Jahr 14 geworden ist, merkt man wie er immer jugendlicher und erwachsener wird. Während er anfangs wenig auf uns gehört hat, respektiert mittlerweile was wir, Freiwilligen, sagen. Wenn wir am Nachmittag um 16 Uhr von der Arbeit nach Hause gehen, drückt er mich ganz fest und möchte, dass ich noch bleibe. Manchmal fand ich seine Umarmungen erdrückend, aber in letzter Zeit kommt mir gleichzeitig der Gedanke, ob er mich nicht doch noch einen Moment länger festhalten kann.
Nach der Schule im Bus, zeigt er mir, indem er seine Hände wie eine Schere formt, dass er noch Hausaufgaben hat, die wir dann am Nachmittag zusammen erledigen.
M., eine der älteren Mitbewohner im Casa Hogar, sie ist Anfang 30, kann sich mittlerweile selber umziehen und braucht dabei keine Hilfe mehr von uns. Zudem hat sie seit etwa einem halben Jahr einen elektrischen Rollstuhl, sodass sie sich selbstständig bewegen kann. A. und M. haben auch ein Heft, in dem auf den verschiedenen Seiten Buchstaben, Zahlen, Farben, Obst- und Gemüse etc. zu finden sind. Das ist eine sehr gute Möglichkeit mit den Beiden zu kommunizieren. Denn auch, wenn sie sich nicht durch viele Worte ausdrücken können, ist es mit den Heften möglich, dass sie ihre Gedanken uns gegenüber formulieren können.
Das sind Beispiele, wie sich die Kinder über das Jahr entwickelt haben. Es freut mich zu sehen, dass immer daran gearbeitet wird neue Möglichkeiten zu finden, damit die Kinder ihr ganzes Potential entfalten können.
An den Abschied möchte ich noch gar nicht denken. Am liebsten würde ich alle mit ins Flugzeug nach Deutschland nehmen. Am Ende bleibt die Zeit, die wir hatten und die mehr als nur besonders war und für die ich so dankbar bin. Denn vor allem durch die Kinder habe ich gelernt. Für mich steht es außer Frage, dass ich sie ganz bald besuchen komme.
Neben der engen Bindung mit den Kindern, sind mir meine WG-Mitbewohner sehr vertraut geworden. Wenn ich zurückdenke, kannten wir uns anfangs eigentlich gar nicht. Mit völlig fremden Jugendlichen, im gleichen Alter, in ein neues Leben eintauchen. Inzwischen kennen wir uns, glaube ich, sehr gut. Zusammen zu leben, zu arbeiten, fast jeden Tag miteinander zu verbringen, das sind sehr viele Stunden, die wir im letzten Jahr zusammen verbracht haben. Ehrlicherweise weiß ich nicht ob, ich das ohne die Drei so geschafft hätte. Sie sind ein bisschen wie die Geschwister, die ich nicht hatte.
Danke, an euch, für eure Unterstützung und unseren Austausch. Ich habe euch lieb.
Das Jahr hat gut getan. Abstand vom Auswendiglernen wie in der Schule. In diesem Jahr habe ich für mein Leben gelernt. Wenn ich gefragt werde, ob ich finde, dass ich mich verändert habe, würde ich sagen, dass ich an meinen Herausforderungen gewachsen bin, dankbarer für mein Leben und die Möglichkeiten bin, die ich in Deutschland habe. Mein Bewusstsein für viele Dinge, gerade die wirklich wichtigen Dinge, hat sich geschärft. Ecuador, wird das Land bleiben, dass ich mit Freiheit verbinde. Nach der Schule, raus von zu Hause, ins kalte Wasser springen und lernen zu schwimmen. Ecuador, seine vielfältige Natur und Kultur und die offenen und lieben Menschen, die ich kennenlernen durfte, werden ein Teil von mir bleiben.
Ich bin froh, den Freiwilligendienst gemacht zu haben und bedanke mich so sehr für alle lieben Nachrichten und die Unterstützung aus Deutschland. So schwer manche Momente waren, wusste ich immer, dass da Menschen sind, die mir den Rücken stärken.