Seit sechs Monaten befinde ich mich nun hier in Ecuador
und ich kann auf ein halbes Jahr voller neuer Erfahrungen, Begegnungen und unvergesslichen Erinnerungen zurückblicken. Allerdings brachte die Zeit auch zahlreiche Herausforderungen mit sich. Insbesondere der Prozess des Ankommens braucht unfassbar viel Zeit. Zeit, die ich anfangs unterschätzt habe. Zwar fühlt es sich schnell normal an, dem täglichen Alltag nachzukommen, aber Einleben bedeutet nicht gleich Ankommen. Erst in den letzten Wochen hat sich das Gefühl des tatsächlichen Ankommens allmählich verstärkt. Eine große Rolle spielen dabei die zahlreichen neuen Bekanntschaften, die ich in dieser Zeit geschlossen habe.
Doch ausgerechnet zu der Zeit, in der immer mehr das Gefühl des Ankommens in mir aufkam, stand auf einmal alles in Frage. Das Jahr 2024 startete für uns nicht ganz einfach. Die politische Lage hat sich in kürzester Zeit stark verschlechtert. Nach einer Geiselname in der TV-Sendung in Guayaquil und dem Ausbruch zahlreicher Insassen aus dem Gefängnis, folgten im ganzen Land sehr viele bewaffnete Überfälle. Dementsprechend durften wir zwei Tage nicht arbeiten, da wir aus Sicherheitsgründen zuhause bleiben mussten. Auch die Schulen in Ecuador waren für etwas mehr als zwei Wochen geschlossen. Im ganzen Land gab es nächtliche Ausgangsperren und man konnte die Panik und Unruhe überall förmlich spüren. Diese zwei Tage Zuhause haben mich viel zum Nachdenken gebracht. Mir wurde nochmal auf eine andere Art und Weise gezeigt, wie viel mir die Zeit hier bedeutet. Dabei spielten besonders die Kinder im Casa eine große Rolle. Als ich die Nachricht erhielt, dass ich aufgrund der aktuellen Lage vorerst nicht mehr arbeiten werde, kämpfte ich bei der Verabschiedung von den Kindern ganz schön mit den Tränen. Die Vorstellung, die Kinder im Casa zurückzulassen, ohne zu wissen, wann wir uns wiedersehen werden, belastete mich sehr. Auch in der WG angekommen, brachte mir all das keine Ruhe. Die Sorge, dass sich die Situation nicht verbessern könnte und wir unseren Freiwilligendienst aus Sicherheitsgründen abbrechen müssten, ging mir nicht aus dem Kopf. Dabei kam mir oft der Gedanke, dass es doch auch nicht fair sei. Wenn es zu gefährlich wird, fliegen wir einfach zurück ins „sichere“ Deutschland, aber die wenigsten haben diese Möglichkeit.
Glücklicherweise hat sich die Lage in den letzten Wochen wieder weitgehend beruhigt. In einigen Provinzen auch in unserer Provinz Imbabura wurden die nächtlichen Ausgangssperren wieder aufgelöst, in anderen Provinzen verkürzt. Inzwischen fühle ich mich hier soweit auch wieder sicher und hoffe nun stark, dass sich die politische Lage weiterhin verbessert.
Besonders die Arbeit macht mir von Tag zu Tag immer mehr Spaß. Nach sechs Monaten habe ich das Gefühl, die Kinder sehr gut zu kennen und ich finde die gemeinsame Zeit unfassbar schön. Anfangs war ich mir öfter noch unsicher, wie ich mit den Kindern, insbesondere in schwierigen Situationen, umgehen sollte. Doch inzwischen habe ich das Gefühl, auch mit herausfordernden Momenten meist ganz gut umgehen zu können. Die schönsten Arbeitstage sind die, an denen ich Zeit habe, gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern zu unternehmen. Die Kinder freuen sich riesig über jede Abwechslung, egal ob basteln, backen, in den Park gehen oder wenn wir die Kinder auch mal zu uns in die WG mitnehmen. Leider ist es hierbei oft schwer einen passenden Zeitraum zu finden, da die Kinder unter der Woche mit Schule, Hausaufgaben, Therapien und ihren Hobbys schon sehr eingespannt sind. Daher gefällt es mir sehr gut am Wochenende zu arbeiten.
Wie schnell die Zeit vergeht, merke ich besonders zur jetzigen Zeit, wo unser Zwischenseminar ansteht und auch meine Eltern bald zu Besuch kommen. All das hat sich so lange Zeit ewig entfernt angefühlt und nun steht es direkt bevor. Oft macht es mir Angst, wie man das Gefühl hat, dass die Zeit einfach davonrennt. Ich freue mich allerdings sehr, meinen Eltern in wenigen Wochen mein „neues Leben“ hier in Ibarra zeigen zu dürfen.