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Jasmin Refaey - 1. Bericht

“Wenn die Entscheidung getroffen ist, sind die Sorgen vorbei.” (Marcus Tullius Cicero). Ende 2015 habe ich mich für diesen Auslandsaufenthalt beworben. Anfang 2016 wurde ich angenommen - von da an ging eine aufregende Zeit los, denn die Entscheidung, für ein ganzes Jahr nach Ecuador zu gehen, wurde gefällt. Doch damit gingen auch einige Sorgen los. Ist es wirklich das Richtige für mich? Wird es mir gefallen? Habe ich mir das wirklich gut überlegt, so lange von der gewohnten Umgebung weg zu sein?
Einst waren das unbeantwortete Fragen, doch diese Sorgen sind nun wirklich vorbei, denn ich weiß: Es ist das Richtige für mich, es gefällt mir und ja, ich habe es mir gut überlegt.

Es ist wirklich kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Am Anfang habe ich mir gesagt: ”Wenn ich den ersten Bericht geschrieben habe, bin ich schon 3 Monate hier.” Und jetzt ist es soweit. Seit 3 Monaten lebe ich hier in Ibarra und arbeite in einem der “Casas familias” im Park “Yuyucocha”.

Der Abschied von meiner Familie, von meinen Freunden - ich habe es noch genau in meinem Kopf, und doch kommt mir das alles so weit weg vor. Ich weiß noch, wie ich am Anfang nichts weiter als “Hola” und “Como estas?” sagen konnte. Noch sehr präsent ist es mir, als ich das erste Mal in den Park gegangen bin und die Kinder und Educadoras aus meinem Haus kennengelernt habe. Generell gab es hier viele “erste Male” - das erste Mal so weit und so lange von zu Hause und dem gewohnten Umfeld weg zu sein, das erste Mal in Südamerika, das erste Mal auf sich alleine gestellt sein.

Die ersten Tage und Wochen hier in Ecuador waren sehr aufregend, denn ich musste mich erst einmal damit abfinden, wirklich ein ganzes Jahr hier zu verbringen. Man wird beim Vorbereitungsseminar auf den Aufenthalt vorbereitet - aber es kann keiner einen darauf vorbereiten, wie man sich in den ersten Tagen fühlt. Klar war einem vorher bewusst, dass man für eine recht lange Zeit hier sein wird. Am Anfang hatte ich immer so ein Kribbeln im Bauch, weil ich nicht wusste, was mich erwartet und wie ich mich an das Leben hier gewöhnen werde. Es war einfach alles ungewohnt und neu und man fühlte sich irgendwie fremd so ganz ohne Sprachkenntisse.

Wie ich jetzt hier sitze und überlege, wie ich meine Gedanken am besten verpacke und wie ich mich ganz am Anfang gefühlt habe, so kommt mir auch das sehr weit weg vor. Denn nach 3 Monaten hier leben und arbeiten versteht man die Abläufe. Ich weiß auch noch genau, wie fremd mir die Kinder am Anfang waren. In meinem Haus leben jetzt 7, bis vor Kurzem noch 8 Kinder zwischen 4 und 9 Jahren, sowie zwei Jugendliche im Alter von 16 und 19 Jahren. Anfangs war ich froh, wenn ich mir alle Namen merken und jedem richtig zuordnen konnte. Die Kleinen leben in den Häusern, weil sich ihre Eltern aus verschiedenen Gründen nicht um sie kümmern können. Dabei kommen auf die 7 Kinder eine Educadora, die sich neben ihnen auch noch um den Haushalt und das Kochen kümmern muss - und vor dieser Arbeit habe ich sehr großen Respekt, weil sie alles andere als einfach ist. Doch es brauchte seine Zeit, um sich den Kindern und Educadoras anzunähern und sie besser kennenzulernen.

Mein größtes Problem war die Sprache. Wenn man in ein Land geht, dessen Sprache man nicht kann, dann fühlt man sich nicht wirklich als Teil des Landes, sondern mehr als Außenstehender. Aber mit der Zeit wird es immer leichter und leichter die Sprache zu verstehen und auch zu sprechen. Je mehr das Gefühl für die Sprache kam, desto mehr und desto besser konnte man auch mit den Kindern umgehen. Als ich anfangs die Kinder noch zu Fuß zur Schule gebracht habe, wollte ich ihnen so viel erzählen und Dinge erklären, jedoch ging es aufgrund der Sprachbarriere einfach nicht. Nach 3 Monaten ist mein Spanisch nicht perfekt und ich habe noch viele Lücken. Aber ich kann mit den Educadoras und den Kindern kommunizieren und ich traue mich auch mehr zu sagen und mehr zu machen. Es schwirren einem so viele Projektideen im Kopf herum, die es nun gilt umzusetzen. Ich muss auch sagen, dass ich mich in den 3 Monaten persönlich weiterentwickelt habe. Denn wenn man die ersten Tage durchsteht und nicht gleich aufgibt, wenn es mal schwierig wird, dann fängt man an, das wunderschöne Land mit seinen Menschen und all seinen Möglichkeiten wahrzunehmen. Leider haben sich das nicht alle Freiwilligen zu Herzen genommen, aber das muss jeder für sich wissen.

Klar gibt es auch hier Tage, an denen man demotiviert ist und sich am Liebsten verkriechen möchte. Man vermisst das zu Hause, die Familie, die Freunde und möchte einfach nur mal kurz zurück in die vertraute Heimat. Doch wenn ich dann wirklich darüber nachdenke, wie es wäre, jetzt nach Hause zu fliegen - das würde sich seltsam anfühlen. Ich habe mich damit abgefunden und darauf eingestellt, ein Jahr hier zu sein, also ziehe ich das auch durch, egal was kommt. Denn nach den 3 Monaten kann ich sagen, dass Ibarra und unsere gemütliche Wohnung zu einem zu Hause geworden ist. Das ich so denke liegt daran, dass es mir hier sehr gut gefällt.

Die Arbeit ist abwechslungsreich, wenn auch manchmal anstrengend, aber sie macht Spaß. Es macht Spaß, am Wochenende herumzureisen und das Land zu erkunden. Leute kennenzulernen und zu merken, dass es immer besser klappt, sich zu unterhalten, fühlt sich einfach nur toll an. Auch die Menschen geben einem das Gefühl, hier willkommen zu sein. All diese Faktoren führen dazu, dass ich mich in Ecuador sehr schnell wohlgefühlt habe und keine Angst habe, auf Leute zuzugehen und Dinge direkt anzusprechen. Was ich ebenfalls hier gelernt habe, ist, einfach in den Tag hinein zu leben. Nicht an morgen zu denken. Einfach mal zu machen ohne 1000 mal darüber nachzudenken. Wenn man 12 Jahre zur Schule gegangen ist, war das unmöglich, weil man dank Hausaufgaben und Prüfungen immer an die nächsten Tage denken musste. Es ist eine ganz besondere Erfahrung, sich zu sagen: “Ich bin nur ein Jahr hier, also nehme ich alles mit, was ich kriegen kann.” Aus solchen Gedanken resultieren dann ganz spontane Kurztrips ans Meer oder an andere spannende Orte. Man geht zum Terminal, kauft sich ein Ticket, fährt einfach los und schaut, was einen erwartet. Irgendwie hat das ein bisschen was von Freiheit.