Nun ja, trotz der reichlich vergangen Zeit sehe ich mich immer noch als den Fremden, der nach Ecuador gekommen ist, um seine Hilfe zur Verfuegung stellt. Auch habe ich nicht das Gefuehl hier angekommen zu sein und Anschluss gefunden zu haben. Zwar sieht man Ibarra als seinen kleinen Heimatort an, doch im Hinterkopf werden unbewusst die verstrichenen Tage gezaehlt. Man haengt an seinem Leben in Deutschland fest, an der Vergangenheit und an der Zukunft, sodass man manchmal ganz vergisst in der Gegenwart zu leben. Besonders jetzt beschaeftigen sich die meisten mit ihren Zukunftplaenen und ihren Studienwuenschen, sodass sie gedanklich wieder in Deutschland sind. Generell ist es schwer, sich innerhalb kurzer Zeit von all dem zu loesen, was sich in seinem Land befindet und an die Heimat bindet. Durch zahlreiche Gespraeche mit Mitfreiwilligen haben viele Probleme mit dem Einleben und der vollkommenen Eingliederung in die Gesellschaft und sein Land. Doch auch die Suedamerikaner, wie z.B. die Kolumbianer und die Venezueler, beschreiben ein aehnliches Verhaltensmuster, wobei sie den Vorteil der gemeinsamen Sprache und des Kontinents besitzen. Daran sieht man, wie viel doch allein die Herkunft und die Lebensdauer in einem Jahr ausmachen. Wie sehr sich unsere Persoenlichkeit, unser Denken und unser Verhalten innerhalb kuerzester Zeit, aufgrund von anderen Lebensumstaenden wandeln kann. Manche findet schneller einen Anschluss, verlieben sich, bauen Freundschaften auf und fuehlen sich wohl in dem neuen Land, anderen hingegen faellt es schwieriger, sich von seinem gewohnten Leben zu loesen un 10.000 km weiter ein neues Leben aufzubauen, mit dem Wissen, dass nach der befristeten Zeit wahrscheinlich alles zusammenfaellt und das in truemmern liegende ecuadorianische Leben zuruecklaesst, ohne genau zu wissen und sagen zu koennen, wann man wieder zurueckkehren wird.
Nichtsdestotrotz rate ich jedem, der sich ueberlegt ein Jahr im Ausland zu verbringen, einen Freiwilligendienst abzuleisten. Am besten in einem Land das in einem Kontrast zu dem eigenen Land steht. Dadurch lernt man nicht nur viel ueber sich, sein Verhalten, sondern auch ueber die politischen und geografischen Umstaende, welche das Land mit sich bringt. Wie die Menschen sich z.B. in Naturkatastrophen verhalten, wie solidarisch und hilfsbereit sich das gesamte Land erweist. Wie das Leben vom Glauben gepraegt sein kann, dass die sog. "Cucuruchos" an Karfreitag den Leidensweg Jesu imitieren. Wie stark die Beziehung zur Natur und seinen Lebewesen sein kann, sodass man ein normales, modernes Leben verneint und mit all seinem Protest sich gegen die Normalitaet wendet, so leben die verschiedenen Staemme im Oriente. Wie stolz die Bevoelkerung auf das schoene Ecuador ist, mit all seiner Farbenpracht, und welch Vielseitigkeit und Vielfaeltigkeit an Lebensmitteln und Regionen das kleine Land Ecuador aufweist. Wie offen und herzlich die Menschen sind, einem immer eine helfende Hand anbieten ohne eine Gegenleistung zu erwarten, wie locker die Arbeitsatmosphaere auch in groesseren Unternehmen ist. Und wie entspannt und kein Hauch von Hektik im Leben besteht. So viel Hoeflichkeit, Friede mit sich selbst und seinem Land, Stolz, Freundlichkeit, Freude und Aufgeschlossenheit ist mir nur selten in all dem Ausmass begegnet.
Doch muss ich noch hinzufuegen, dass die Freiwilligenarbeit auch Nachteile mit sich traegt. Die Fundación ist z.B. voll und ganz auf Freiwillige angewiesen, sodass man die Arbeit nicht mehr ohne die auslaendischen Hilfskraefte schaffen wuerde. Auch das Denken, dass egal, was passiert, immer neue Freiwillige kommen, die ihre Aufgaben erledigen werden, vielleicht sogar besser und schneller als die Freiwilligen davor. Somit wird man verglichen und in eine Rangordnung gestellt. Dank meinen anfaenglichen Schwierigkeiten werde ich wohl nie, was anderes sein, als die kranke Voluntaerin, die zu gestresst und traurig ist. Doch solange andere Freiwillige kommen, versucht man gar nicht darueber zu reden und es nur ein wenig zu verstehen. Ein Fehler wird dir auf die Stirn geschrieben und nicht mehr vergessen.
Ich moechte hier niemanden schlecht reden, doch es ist mein Erlebnis und ich finde, dass die anderen Freiwilligen bestimmt auch daraus lernen koennen. Lasst euch nicht ausnutzen; besteht auf eure Rechte als Freiwillige; seid nicht zu nett; ihr seid genauso wichtig wie die Educadoras; sprecht immer etwas an, falls euch etwas stoert und ihr es aendert wollt; versucht eine gute Beziehung zu euren Educadoras aufzubauen, denn mit ihnen werdet ihr mehr Zeit als mit den Kindern verbringen; habt immer ein offenes Ohr und ein achtsames Auge; versucht es nicht immer allen recht zu machen, solange es fuer euch gut ist und niemanden verletzt oder negative Einfluesse auf einen hat, ist alles gut. Und seid ehrlich, zu euch und zu den Leuten aus der Fundación. In manchen Dingen werdet ihr euch uneinig sein und euch vielleicht in die Haare kriegen, aber solange ihr es ansprecht und versucht das Problem zu loesen, habt ihr von euerer Seite aus alles Noetige getan, um eine gute Atmosphaere herzustellen. Alles andere ist nicht euer Verdienst und nicht euere Schuld. Alles passiert aus einem Grund. Ich bin dadurch viel selbstsicherer, staerker und selbstbewusster geworden.
Alles in einem bin ich der Ecuador-Connection dankbar, dass sie mir so eine grosse Opportunitaet ermoeglicht haben, innerhalb wenigen Monaten so viel zu verstehen, zu veraendern und zu erlernen. Vielen Dank an Kirstin, die mir in all meinen Problemen immer beigestanden hatte und mit viel Muehe, Geduld und Einsatzbereitschaft geholfen hat. Danke an Heiko, dass er mich noch im letzten Moment aufgenommen hat. Danke an Daniel fuer das sehr informative und umfangreiche Seminar. Danke an all die Menschen, die die kleine Ecuador-Connection aufrechterhalten. Dankeschoen meinerseits!