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Hannah - 1. Bericht

Hannah Artikel

Eine Reise

3 Monate, 6 Tage, 19 Stunden und 35 Minuten. So lange ist es schon her, dass ich deutschen Boden verlassen habe. Am 23. August um 19:25 Uhr habe ich mich in das Flugzeug gesetzt, in ein Flugzeug über Madrid nach Ecuador. Genau zu diesem Zeitpunkt ging meine Reise los. Meine Reise auf einen anderen Kontinent. Eine Reise zu etwas Neuem. Zu neuer Arbeit, neuen Leuten, einer neuen Kultur, einem neuen Alltag. Es ist nicht nur eine echte Reise mit dem Flugzeug, nein, in den letzten drei Monaten musste ich vor allem lernen, dass das auch eine Reise in mir ist. Eine Reise, bei der ich viel Neues lernen darf und Altes auch ablegen darf. Drei Monate aus Höhen und Tiefen. Höhen und Tiefen in so vielen verschiedenen Aspekten, welche ich heute ein wenig ausführen will.

Ankommen und Alltag

Ich weiß noch ganz genau, wie wir es kaum erwarten konnten nach Ibarra zu kommen. Die fünf Tage die wir in Quito sein ,,mussten“ um unser Visum registrieren zu lassen, haben sich für uns wie eine Ewigkeit angefühlt. Quito war zwar sehr interessant, doch hatten wir das Bedürfnis sofort unser neues Zuhause kennenzulernen. Wir wollten so banale Dinge tun, wie einen Wasserkocher kaufen, unsere Zimmer einrichten und einfach Ibarra, unser neues Zuhause erkunden. Übrigens Empfehlung direkt am Anfang: Kaufe keinen Wasserkocher in Ecuador! Die Stromleitungen können das nicht, der Wasserkocher war nach nicht mal drei Wochen kaputt.  Die ersten paar Wochen hier waren eine Art Schock. Im positiven als auch negativen Sinne. Ich weiß noch genau, als in der ersten Arbeitswoche folgender Satz in der WG fiel: „Wenn das so weiter geht, brech ich ab!“. Das war zwar keine ernstgemeinte Aussage, jedoch spiegelt sie unsere anfängliche Überforderung mit unserem ersten 40-Stunden Job (mit mangelnden Sprachkenntnissen) gut wider. Diese Art von Schock haben wir nach über drei Monaten überwunden. Keine Frage, es ist anstrengend zu arbeiten, trotzdem überwiegen mittlerweile die positiven Seiten und wir fühlen uns langsam aber sicher wie zuhause. Wir haben einen Alltag, eine Routine gefunden. Wir haben nicht nur unseren Alltag gefunden, sondern wir haben auch den Alltag im Casa (hier: Wohngruppe bei der Arbeit) gefunden. Wir haben gelernt selbstständig Dinge auf die Beine zu stellen. Wir denken selbst mit, lassen nicht nur alles die Educadoras (Betreuerinnen) übernehmen und genau das zeigt uns Fortschritt. Wenn ich also beispielsweise die Educadora erinnere, dass dienstags eins der Kinder nicht zur Schule geht, sondern zur Therapie, dann merke ich, wie ich wachse- auch bei solch kleinen Dingen. Auch außerhalb der Arbeit haben wir unsere Routine gefunden. Mittwochs und donnerstags haben wir immer Salsakurs und an den anderen Abenden bekommen wir oft Besuch, backen, spielen oder machen auch einfach nur einen WG-Abend. Wir haben einen Reiserhythmus gefunden, denn am Anfang dachten wir: „Jedes Wochenende geht es für uns auf Reisen durch Ecuador!“. Da hat uns die Arbeit und unsere eigene Gesundheit (dazu später mehr) ein Strich durch die Rechnung gemacht. Trotz, dass sich diese Erwartung nicht bestätigt hat, haben wir in diesen drei Monaten schon unfassbar viel gesehen. Und damit kommen wir zum Thema positiver Schock. Wenn ich am Rande eines knapp 4000m hohen Kratersees stehe, dann empfinde ich so viel Glück und Dankbarkeit, dass man es nicht in Worte fassen kann. Wenn ich Wasserfälle rückwärts runterspringe, über Wälder fliege, ins Meer renne, durch die wunderschöne Stadt Cuenca laufe oder auch nur einfach ein bisschen auf dem Markt in Otavalo rumschlendere, dann verspüre ich dieses Gefühl auch. Das Staunen über dieses unglaubliche Land Ecuador. Staunen über die Vielfältigkeit, die Schönheit und natürlich auch über diese Andersartigkeit zu Deutschland. Das ist zwar kein Wunder, denn ich bin schließlich in Südamerika und doch hätte ich es niemals für möglich gehalten, einfach wann ich Lust habe in den Bus einzusteigen- ohne Haltestelle, einfach IRGENDWO! Ich hätte es beispielweise auch nicht für möglich gehalten, täglich in der Suppe Hühnerfüße oder gar Hühnerköpfe zu finden. Apropos Essen: Ich kam hierher ohne Reis und Popcorn zu mögen und doch esse ich hier jeden Tag Reis und Popcorn. Aber hey, an genau solche Dinge gewöhnt man sich einfach und lernt sie tatsächlich mit der Zeit auch lieben. Nochmals zum Thema Schock. Diese Überforderung vom Anfang oder eben diese Art von negativem Schock überwinden wir immer mehr durch unsere Routine, unseren Alltag. Durch unser immer wachsendes Sprachverständnis, durch unsere wachsenden Fähigkeiten auf der Arbeit und auch durch wachsende Freundschaften, sei es mit Ecuadorianer*innen oder auch mit Deutschen. Vor allem aber verschwindet diese Überforderung durch den Kontakt mit den Kindern. Die Kinder im Casa wachsen mir täglich mehr ans Herz und ihr Lachen zeigt mir jeden Tag den eigentlichen Grund hier zu sein- nämlich die Arbeit. Als ich letzte Woche nicht arbeiten konnte und heute zum ersten Mal wieder kam habe ich erst gemerkt, wie sehr ich alle vermisst habe. Wie sehr es mir gefehlt hat, von den Kindern fröhlich umarmt zu werden, die Kinder durch die Luft zu schmeißen, zu kitzeln oder einfach nur Fangen zu spielen. Diesen positiven Schock, diese Freude, so hoffe ich sehr, werde ich für die folgenden sechs Monate bei mir behalten. Ich glaube sogar fest daran, dass dieser Schock noch viel mehr wachsen wird. 

Gesundheit und vieles mehr

Ein Thema was mich persönlich hier am meisten beschäftigt ist meine Gesundheit. Was bedeutet Gesundheit und wie halte ich sie aufrecht? Leider war ich in meiner Zeit hier schon einige Male krank. In solchen Momenten, wo man eine Woche aus der Arbeit herausgezogen wird, nicht Reisen kann und einfach nur einsam im Bett liegt, vermisst man seine Familie und vor allem Deutschland. Einen deutschen Arzt, deutsches Essen und deutsche (vermeintlich) ungefährliche Bakterien. Deshalb kann ich sagen, die letzten 3 Monate, 6 Tage, 19 Stunden und 35 Minuten waren von Höhen und Tiefen geprägt. Ich habe eine skurrile Art und Weise gefunden mit Tiefen hier umzugehen. Jedes Mal, wenn ich Deutschland vermisse, rieche ich an einem ungetragenen Kleidungsstück noch aus Deutschland. Der Geruch nach frischgewaschener Wäsche aus Deutschland beruhigt mich. Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass so etwas mal eine meiner Stressbewältigungstechniken ist, hätte ich ihn ausgelacht. Doch wie ich am Anfang gesagt habe, ich befinde mich auf einer Reise. Einer Reise, bei der ich viel Neues lernen darf und Altes ablegen darf. Und wenn es gerade noch so banale Dinge sind, wie neue Stressbewältigungstechniken zu erlernen, die Unnötigkeit eines Wasserkochers zu durchschauen oder meine Antipathie gegen Reis und Popcorn abzulegen. Da kommt noch so viel mehr in den nächsten sechs Monaten - da bin ich mir sicher.