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Raphaela - 3. Bericht

Raphaela

Eigentlich sollten wir nach Verfassen dieses Berichtes noch ein Viertel unserer Zeit in Ecuador vor uns haben und doch sind wir schon wieder einen Monat zu Hause. Zu Hause. Das war die letzten acht Monate die WG in Quito für mich. Nicht nur weil ich dort schlief, kochte und wohnte, sondern auch weil meine Mitfreiwilligen in dieser Zeit ein so wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden sind, dass ich mir kaum vorstellen konnte einmal wieder ohne sie zu sein.  Ich fühlte mich rundum wohl und genoss die Anwesenheit meiner Mitbewohner. Immer war jemand da, mit dem ich lachen konnte und immer auch jemand, wenn die Zeiten schwieriger waren. Wir alle waren in der gleichen Situation - fremd in einem Land, das uns schon nach kurzer Zeit nicht mehr fremd erschien. Wir verstanden uns und unsere Situation. Das fehlt mir am meisten in Deutschland. Hier kann ich zwar von der Wohnung, der Arbeit oder den Leuten erzählen aber niemand aus meiner Familie war dort, niemand versteht so richtig, was ich erzähle. Mir ist klar, dass ich damit auch leben müsste, wenn wir regulär im Juli zurück geflogen wären. Jetzt ist es vielleicht nur ein bisschen intensiver. Manchmal denke ich, dass es eine einzige Ungerechtigkeit ist, dass gerade wir früher zurückgeholt wurden. Oder auch, dass gerade wir schon den Streik und die Proteste erleben und schon damals zwei Wochen im Hausarrest verharren mussten. Mit den zwei Wochen auf Grund von Corona saßen wir insgesamt einen Monat in der Wohnung fest. Und dann werden uns die letzten vier Monate noch genommen. In anderen Momenten wiederum wird mir bewusst, dass niemanden die Schuld trifft für die aktuelle Lage und auch nicht für die Konsequenzen, die daraus gezogen werden. Wir mussten nach Hause, es war nicht unsere Entscheidung, mir tat das weh aber trotzdem weiß ich, dass diese Entscheidung richtig war und ich bin im Moment sehr froh, in Deutschland bei meiner Familie zu sein und die Möglichkeit zu haben das Haus zu verlassen. Ich weiß einige Freiheiten viel mehr zu schätzen, seit ich weiß wie die Maßnahmen in anderen Ländern aussehen können: Strikte Ausgangssperre ausgenommen eines Vormittages in der Woche, an dem Einkäufe erledigt werden können, Militärpräsenz auf den Straßen und keine finanziellen Hilfen für die, die nicht mehr arbeiten dürfen. Dann wird mir bewusst, dass ich nicht das Recht habe mich zu bemitleiden, weil ich vier Monate meines Dienstes nicht ausüben konnte, sondern viel mehr dankbar sein muss für acht tolle Monate, in denen ich (Gast-)Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Herzblut, Mut und Abenteuer erlebt habe. Für mich war es eine Zeit, in der jeder Moment es wert war ihn erlebt zu haben. Die Arbeit, die einen großen Teil dieser Zeit in Anspruch nahm, habe ich geliebt. Es war toll jeden Morgen gerne aufzustehen, um in die Fundación zu gehen, die Tías und die Kinder zu treffen und mit ihnen jeden Tag neue Herausforderungen zu meistern. Es war ebenso schön, mit jeder Woche zu bemerken, dass das eigene Spanisch besser wird und man sich an immer mehr Gesprächen beteiligen kann und immer mehr Scherze versteht. Auch in der WG wuchsen wir immer enger zusammen, lernten uns besser kennen, führten Gespräche bis tief in die Nacht und gingen schlussendlich mit dem Wille auseinander, den Kontakt zu halten. Die letzten Wochen in Quarantäne verbrachten wir nochmal sehr intensiv miteinander, sprachen uns aus und versuchten so gut es ging füreinander da zu sein. Dafür war uns jedes Mittel Recht von Pudding bis Matratzenlager. Für mich waren diese ungewissen Tage, an denen wir nicht wussten, ob es nach Hause geht oder nicht, ein wichtiger Prozess des Abschieds. Wenn wir auch nicht die Möglichkeit hatten uns von den Kindern, den Tías oder Freunden zu verabschieden, so bekamen wir auf diese Art wenigstens die Chance uns innerlich vorzubereiten und mit der Situation ins Reine zu kommen. Nur einen Satz zum Rückflug: Ich finde die Deutsche Botschaft hat sehr gute Arbeit geleistet, denn alles lief problemlos und organisiert ab und ich hab mich gut aufgehoben gefühlt. Am schwierigsten war für mich die erste Woche in Deutschland. Ich hatte das Gefühl versagt zu haben, meine Aufgabe nicht erfüllt gekonnt zu haben und war ständig gereizt, da ich hier nichts Sinnvolles tun konnte. Mein Koffer stand eine Ewigkeit unangerührt im Eck, alles, was mit Ecuador zu tun hatte, wollte und konnte ich nicht ansehen und schon gar nicht aussprechen und meine Mitbewohner fehlten mir. Die Aussicht, dass frühestens in einem halben Jahr mit Beginn des Studiums wieder ein Alltag einkehren würde habe ich kaum ertragen. Nach einigem Abwägen und Überlegen habe ich nun vor zwei Wochen einen Welpen adoptiert und sie Alma (Spanisch für „Seele“) genannt. Sie erinnert mich mit ihrem Namen an Ecuador und sorgt dafür, dass ich die Zeit dort nicht vergesse und ist doch gleichzeitig der Beginn eines ganz neuen Kapitels.

Mittlerweile bin ich hier angekommen. Das ist ein gutes Gefühl. An meine Zeit in Ecuador kann ich mit einem Lächeln zurückdenken. Manchmal kommt noch die Sehnsucht, aber die wird vermutlich auch nie mehr ganz verschwinden. Vielleicht kehre ich eines Tages zurück und hole den verpassten Abschied nach. Das ist mein Wunsch.