Diese Seite drucken

Milena G. - 2. Bericht

Alltag

Wie soll man so was beschreiben? Bei diesem Wort habe ich früher eigentlich immer an Langeweile denken müssen. Morgens früh aufstehen, Schulstress, Hausaufgaben, Lernen…Immer habe ich auf die Wochenenden zu gelebt, den nächsten Geburtstag oder Ferien. Und selbst da hatte ich Glück, wenn da etwas passiert ist, was mir noch dauerhaft in Erinnerung geblieben ist. Abenteuer, Reisen und jeden Tag neue Leute kennenlernen gehörten jedenfalls nicht dazu. Ich weiß daher gar nicht, ob ich die Zeit und die Dinge, die ich hier erlebe überhaupt als alltäglich beschreiben kann…trotzdem ist ein Jahr eine lange Zeit und so hat sich auch nach sechs Monaten hier in Ecuador in manchen Sachen eine gewisse Routine entwickelt.

Der wohl wichtigste und größte Teil dieser Routine ist natürlich die Arbeit. Ich bin kein ausgiebiger Langschläfer, aber noch viel weniger Frühaufsteher. Wenn mir jemand vor sieben Monaten erzählt hätte, dass ich irgendwann gerne früh aufstehen werde um zu ARBEITEN, hätte ich denjenigen ausgelacht. Aber es ist tatsächlich wahr. Um 6:30 klingelt der Wecker, um 7:45 geht es los zum Bus. Ab und zu gibt es noch ein ofenfrisches Cachito con Queso (Käsehörnchen) auf die Hand und wenn der Bus zeitig kommt, ist man auch überpünktlich auf der Arbeit. Zurzeit bin ich in der Gruppe „Gozo“ und ich werde darum den Tagesablauf dort beschreiben. Die Kinder und jungen Erwachsenen sind im Alter von 14 bis 32 Jahren und sind fast alle sind zu 100 % abhängig. Die Arbeit in „Gozo“ bezieht sich daher hauptsächlich auf die Pflege und das Erhalten bereits erlernter Fähigkeiten. Die Kinder aus dem Casa Hogar (Waisenhaus) kommen immer gegen 9 Uhr. Bis dahin trudeln die Kinder aus den Familien langsam ein und man kann sich erst mal mit ihnen beschäftigen. Wenn die Gruppe vollständig ist, geht es los mit Windeln wechseln. Um zehn Uhr gibt es den ersten Snack und je nach dem, wie viele Freiwillige gerade noch helfen, kann das Füttern schon mal 45 Minuten dauern. Wenn schließlich alle Kinder versorgt sind, kommt es natürlich auf das Kind an, was für eine Art von Therapie bei ihm angewendet werden kann. Manche werden massiert, mit anderen kann sogar laufen geübt werden. Das heißt, dass die Arbeit tagein tagaus nicht langweilig wird. Tatsächlich ist es ab und an sogar ziemlich anstrengend, da wir mit der Zeit (und natürlich nur, wenn wir uns selber damit wohl fühlen) relativ viel Verantwortung übernehmen und teilweise auch anderen Freiwilligen, die nicht so lange da sind zeigen, wie manche Dinge ablaufen. Mich macht das immer stolz, weil ich so am besten sehe, wie viel ich schon gelernt habe. Ich erinnere mich an meinen ersten Tag in der Fundación und die Unsicherheit, ob ich etwas richtig oder falsch mache. Das alles kommt mir mittlerweile so lange her vor und teilweise muss ich über mich selber lachen, wenn ich daran denke, wie ich das erste Mal eines der Kinder mit spitzen Fingern gewickelt habe. Auch die Sprachbarriere ist längst überwunden und es lässt mich jedes Mal noch ein paar Zentimeter vor Stolz wachsen, wenn ich für andere Freiwillige Spanisch übersetzen soll. Aber weiter im Tagesablauf: Um 12:00 gehen wir mit den Tias zusammen essen. Um 12.30 Uhr werden die Kinder gefüttert. Bis die Letzten versorgt sind, kann schon mal eine Stunde vergehen. Allerdings fängt immer der erste Freiwillige, der die Hände wieder frei hat schon an mit Zähneputzen. Gegen 14 Uhr ist auch das geschafft, und ab dann folgt eine halbstündige Ruhephase während der die Arbeit hauptsächlich aus Massieren besteht. Um halb drei werden wieder Windeln gewechselt und um 15 Uhr gibt es noch einen Snack. Wenn dieser aufgegessen ist, werden die ersten Kinder auch schon abgeholt und ab dann verfliegt die Zeit, bis um 16.30 Uhr schließlich die Kinder des Casa Hogars abfahren.

Für die Kinder ist eine einheitliche Routine sehr wichtig, darum ist die Arbeit in den einzelnen Gruppen fast immer gleich. Trotzdem wird es nie langweilig, denn jedes Kind hat seinen eigenen Charakter und alle sind für Überraschungen gut zu haben.

Es gibt Tage, an denen ich morgens einfach etwas deprimiert aufwache. Mag es daran liegen, dass ich beim Einschlafen etwas zu viel an die weit entfernte Familie gedacht habe oder von irgendetwas in Deutschland geträumt habe-Spätestens, wenn ich die Fundación betrete und von Damian mit einem „Buenos dias, Senor“ begrüßt werde oder einem herzhaften Lachen von Brigith, ist jeder Kummer vergessen.

Nach der Arbeit geht es normalerweise direkt nach Hause, wo dann jeder für eine Weile seinen eigenen Beschäftigungen nachgeht oder ein Mal die Woche für zwei Stunden der Spanischunterricht stattfindet. Ab und an muss natürlich auch eingekauft werden. Also geht es spätestens alle zwei Wochen mal in den Supermarkt um unseren gemeinsamen Vorrat an Grundnahrungsmitteln wie Milch, Mehl, Butter und Reis aufzufüllen. Obst und Gemüse gibt es günstiger und auch leckerer in den benachbarten Tiendas, und ein nettes Gespräch gratis dazu.

Abends finden wir uns jedoch fast immer alle in der Küche zusammen, reden über Gott und die Welt und hören Musik. Diese Zeit gefällt mir in der WG am besten. Auch sehr beliebt sind allerdings abendliche Gänge zu unseren neuen venezuelanischen Nachbarn, wo es die besten Empanadas für einen Dollar gibt. So klingt ein normaler Wochentag dann schließlich aus.

Die Wochenenden sind noch mal etwas ganz anderes. Da diese hauptsächlich aus Reisen bestehen, werde ich mir, um das genauer auszuführen, dafür Zeit in meinem nächsten Bericht nehmen.

Es ist wirklich verrückt wie schnell so ein Tag rum ist. Doch noch verrückter ist, wie schnell die Zeit verfliegt. Schon sind sechs Monate vergangen und ich frage mich, wie das sein kann, da ich doch gefühlt erst gestern in Ecuador gelandet bin und mit zittrigen Knien und einem Spanischvokabular, das aus „Hola“ bestand durch die Passkontrolle gelaufen bin. Gleichzeitig ist schon so viel passiert. Wir haben Geburtstage und Weihnachten gefeiert. Dinge, die man doch eigentlich lieber zu Hause tun würde. Aber ich habe das Gefühl, genau das bin ich hier. Zu Hause.