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Viola - 1. Bericht

Angekommen

Bevor ich nach Ecuador ausgeflogen bin, habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wie es in dem südamerikanische Staat wohl aussieht, wie die Menschen dort auf mich reagieren, ob ich wirklich so sehr heraussteche, wie mir gesagt wurde und ob ich meine Arbeit dort gut machen werde.
Es gibt viele Dinge, über die man sich im Voraus informieren kann, aber vieles muss man einfach während seinem Aufenthalt im Land beobachten, aufnehmen und reflektieren.
Ich weiß noch wie angsteinflößend es war, auf manche Fragen keine Antwort zu wissen und sich auf das Unbekannte einzulassen und die Eindrücke auf sich einwirken zu lassen.

Wenn ich jetzt an meine ersten Eindrücke von Ecuador denke, fällt mir wieder einmal auf, wie normal das Leben hier in Ecuador für mich geworden ist. Ich weiß noch, wie ich zu Sarah (einer der Freiwilligen des vorherigen Jahres) gesagt habe: „Ich werde mich nie an die Ansicht dieser Berge gewöhnen!“, sie meinte daraufhin, dass der Anblick irgendwann ganz normal sein wird und man sich sehr wohl daran gewöhnt und sie hatte recht. Ich genieße die Aussicht auf die Berge noch immer wie am ersten Tag, aber ich bin nicht mehr so überrascht und überwältigt von deren Anblick, sie sind wie so viele andere Aspekte ein Teil meines Alltags geworden.
Die ersten Dinge, die mir persönlich an Ecuador aufgefallen sind, ist zum einen die Architektur, die sich in vielen Bereichen von der in Europa unterscheidet, der Kabelsalat, der über den Straßen hängt, die vielen kleinen Läden am Straßenrand, die Berge und zum anderem das Klima, was immer unberechenbar scheint.
War das das, was ich vorher von Ecuador erwartet hatte? Höchstwahrscheinlich nicht.

Ich glaube jeder von uns Freiwilligen hatte ein Bild von Ecuador, bevor er hierher geflogen ist. Ich persönlich habe dies auch gebraucht, um mich auf die Reise vorzubereiten und irgendeinen Anhaltspunkt zu haben. Immer wenn ich an Bilder gedacht habe, habe ich diese sofort mit Vorurteilen und Klischees verbunden.  So habe ich in den ersten drei Monaten realisiert, dass es an sich nicht schlimm ist ein Bild von einem Land zu haben, das braucht der Mensch nun einmal, um sich zurecht zu finden, aber man muss  für die äußeren Einflüsse offen sein, damit man das Bild formen, verändern oder vielleicht ganz über Bord werfen kann. Man kann wahrscheinlich keinen größeren Fehler machen, als in einem Land anzukommen und zu glauben alles zu wissen.
Der Freiwilligendienst ist ein Lernprozess, der nicht nach den ersten drei Monaten aufhört, ich bin mir sehr sicher, dass ich bis zu meinem letzten Tag hier in Ecuador noch neue Dinge lernen werde, egal ob es sich dabei um eine neues Wort oder Erkenntnisse über das Land und die Kultur handelt.

Erwartungen von anderen oder von mir an mich selbst, haben  mich manchmal unter Druck gesetzt.
In den ersten Tagen nach meiner Ankunft hatte ich dadurch viele Selbstzweifel.
Kann ich auf Spanisch kommunizieren? Werden sie mich auslachen? Mache ich die Arbeit gut genug? Mache ich Fehler und niemand sagt es mir? Und vor allem: Mögen mich die Kinder?
Ich glaube, das sind Gedanken, die in uns allen aufgekommen sind, welche man aber schnellstmöglich in den Hinterkopf verschieben sollte, weil darüber zu grübeln einem nur Kopfschmerzen bereitet.
Am Anfang habe ich mich oft  fehl am Platz gefühlt, weil alles so unbekannt und fremd war, weil ich hier fremd war. Ich kann von Glück reden, dass die Kinder es mir sehr leicht gemacht haben, mich einzufinden. Sie haben mir im Haus alles gezeigt, wo sich was befindet und haben fröhlich auf mich eingeredet, während ich einfach nur nickend und mit gezwungenem Lächeln daneben stand, weil ich sie anfangs nicht sehr gut verstehen konnte.
Gerade in den ersten Tagen und Wochen habe ich mich in einer wirklich stressigen Situation befunden, was mir erst nach ungefähr zwei Monaten aufgefallen ist, als der Stress von meinen Schultern abgefallen ist und ich mich plötzlich leichter gefühlt habe. In diesem Moment wusste ich: Ich bin angekommen.
In ein neues Land zu reisen und ständig etwas Neues zu entdecken, ist super spannend und aufregend, aber die Anpassung ist für den Körper am Anfang nicht immer leicht.
Ich weiß noch, wie ich alles an Ecuador immer toll und wunderschön fand, als hätte ich eine rosarote Brille auf. In Realität habe ich festgestellt, dass es doch verschiedene Punkte gibt, die mir nicht so gut gefallen, wie zum Beispiel das aktuelle Bildungssystem.
Manche Dinge fallen einem vielleicht sofort auf und andere erst nach acht Monaten, aber ich finde es wichtig, sich sowohl mit den positiven als auch negativen Seiten eines Landes zu beschäftigen, denn seien wir mal ehrlich, niemand ist perfekt und genauso wenig ist es die Regierung eines Landes (weder in Europa noch in Südamerika).
So versuche ich weiterhin mein Bild von Ecuador auszuschmücken, Teile wegzuradieren und neues hinzuzufügen.

Unsere ersten 3 Monate hier in Ecuador waren von vielen verschiedenen, zum Teil auch unerwarteten Ereignissen, geprägt. Wir haben zusammen die ersten Hochs und Tiefs unseres Freiwilligendienstes erlebt und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Ereignisse mit meinen WG-Mitbewohnerinnen teilen konnte.
So haben wir zusammen Wanderungen in den Bergen oder am See gemacht, Städte erkundet, über unsere Erlebnisse bei der Arbeit geredet, zusammen gekocht, Musik gehört und unsere Wohnung etwas umgestaltet und personalisiert.
Auf der anderen Seite hat unsere WG die erste Krankheitswelle überstanden und saß während dem Ausnahmezustand in Ecuador zusammen  in der Wohnung fest.
Gerade diese Zeit hat uns als WG meiner Meinung nach besonders zusammengeschweißt.
Das ist der Vorteil an einer WG: immer jemanden haben, an den man sich wenden kann, der einen versteht, weil er sich in der gleichen Situation befindet und nie alleine sein, wenn es vielleicht einmal unschön wird oder etwas Unerwartetes passiert.
In dieser Zeit haben wir hier großartige Menschen kennengelernt, die uns geholfen haben, uns zurechtzufinden und uns immer unter die Arme gegriffen haben.
Nachbarn, an die wir uns bei jeder Frage oder jedem Problem wenden konnten.
Freunde, die die Geduld hatten (und immer noch haben), unserem noch etwas gebrochenen Spanisch zuzuhören.

Ich kann nach diesen ersten ereignisreichen Wochen nur sagen, dass ich mich sehr auf die kommenden Monate freue und gespannt bin, was uns noch so erwartet.
Während des Ausnahmezustands in Ecuador habe ich noch einmal mehr realisiert, dass ich jetzt noch nicht bereit wäre, wieder nach Hause zu fahren. Mir sind die Kinder und auch meine WG sehr ans Herz gewachsen und jetzt alles zurück zu lassen, ist für mich unvorstellbar.
Ich kann inzwischen stolz sagen, dass ich nicht mehr durch die Straßen Ibarras irre, sondern mich soweit orientieren kann, dass ich inzwischen Lieblingsorte in der Stadt gefunden habe. Es macht mir immer eine Freude, wenn ich auf die Straße hinaustrete und von unseren Nachbarn begrüßt werde, weil  es mir das Gefühlt gibt dazuzugehören und angekommen zu sein.
Wenn ich von unserer Dachterrasse aus auf die Berge und die umliegenden Häuser schaue, sehe ich mein Zuhause in Ecuador, eine Stadt, die vielleicht eher kleiner und übersichtlicher ist, aber auch jede Menge zu bieten hat.
Ibarra ist ein Ort, an dem ich mich selbst in den schwierigen Zeiten immer wohl und sicher gefühlt habe.
Ein Ort, den ich selbst ohne die rosarote Brille und mit seinen Macken zu lieben gelernt habe.
Noch ist mein Bild von Ecuador wie eine Skizze mit ein paar Farbkleksen, welches nur darauf wartet bis zum Ende des Jahres ein wunderschönes Kunstwerk zu werden und einen Rahmen zu bekommen.